new environments of mobility
Katharina Keller am Bahnhof © Veronika Veit

Warten auf etwas ist einfach schön

Katharina Keller

Freie Kunstkuratorin

www.rischart.de

Seit über 30 Jahren Entwicklerin und Kuratorin von Kunstprojekten und Themen-Ausstellungen im öffentlichen Raum für RischArt_Projekt in München – zuletzt „Warte-Zeit“, Auseinandersetzungen über das Phänomen Warten am Hauptbahnhof in München.

„Warte-Zeit“ am Hauptbahnhof in München. Wie ist es zu dieser Ausstellung gekommen? Wie entstand die Idee dazu?
Ich habe 2011 ein Theaterstück von Ruth Geiersberger gesehen, in dem es um Warten und Demenz ging. Die Relation zwischen dem Warten, der angehaltenen Zeit, die man fallweise meint ungeduldig vertreiben oder sinnvoll füllen zu müssen, und der Demenz hat mich sehr beschäftigt, denn an einem bestimmten Punkt lässt die Demenz den Grund des Wartens in Vergessenheit geraten. Die Krankheit hebt das Warten auf.

Es ging darum dem Warten grundlegend auf die Spur zu kommen?
Es gibt Statistiker, die behaupten, dass der Mensch bei einer Lebenserwartung von 70 Jahren durchschnittlich 5 Jahre mit Warten verbringt. im Sinne Andy Warhols nicht auch „The idea of waiting for something makes it more exciting“ sein?

Der Bahnhof als Ort, an dem die Ausstellung stattfinden sollte, war fĂĽr Sie immer fix?
Ja, denn der Bahnhof ist allen Menschen in seiner emotionalen Dimension, die gleichzeitig von dauerhafter Bewegung und von temporärem Stillstand, von Ankunft, Abfahrt und Sehnsucht geprägt ist, ein Begriff. Besonders spannend war, dass wir das Warten, inmitten der im Alltag Wartenden, künstlerisch interpretiert und transformiert haben. Für zwei Wochen entstand hier ein sozialer Raum, ein Ort des Anregens, Mitteilens und Austauschens.
Der Bahnhof München hat eine sehr lange „Warte-Geschichte“. Rund vier Millionen der sogenannten „GastarbeiterInnen“ kamen zwischen 1955 und 1973 zunächst in der Weiterleitungsstelle an Gleis 11 an. Ihre Ankunft war auch immer mit Warten zwischen großer Hoffnung und
existentiellen Ängsten verbunden. Dörthe Bäumer entwickelte in diesem Kontext die Arbeit „Warten an Gleis 11“ für die Ausstellung,
Installationen in fünf Schließfächern gaben Einblicke in Innenräume von Biografien und eröffneten so vielfältige Bezüge zur aktuellen
Migrationsdebatte.

Hatten die eingeladenen KĂĽnstlerinnen und KĂĽnstler einen speziellen Bezug zum Warten?
Nein, die Arbeiten wurden fĂĽr die Ausstellung und fĂĽr diesen Ort
entwickelt. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass einige Projekte auch als permanentes Ausstattungselement fĂĽr andere Bahnhöfe ĂĽbernommen werden – Matthias Beckmann´s „Mal- und Schreibstube“ zum Beispiel. Hier kamen alle zusammen: da saĂźen der Architekt mit der Bäckerin, dem syrischen FlĂĽchtling, der Journalistin und dem Junkie zusammen und malten Beckmann´s Postkarten weiter und schrieben Texte dazu.

Kunst am Bau und Bilder- oder Skulpturenausstellungen – sind das adäquate Formate auf Verkehrsstationen und Bahnhöfen?
Nein, all diese BemĂĽhungen sind viel zu statisch. Viele Menschen sind Pendler und kommen an ihrer Station Tag fĂĽr Tag vorbei.
Ein Bild verändert sich nicht und irgendwann sieht man es nicht mehr.
Ich wünsche mir mehr Kunst auf den Bahnhöfen, aber eine andere. Es geht um den sozialen Raum, in dem sich die Menschen bewegen. Kunst kann einen Raum transformieren. Ich glaube, dass Videos, Medienkunst generell für den öffentlichen Raum besser geeignet sind.

Was vermissen Sie auf Bahnhöfen?
Mangelware sind Steckdosen und angenehme Sitzbereiche. Ich wünsche mir Lounges, wo man zusammen sitzen und auch kommunizieren kann. Ich möchte mich wohl fühlen. Im Wartebereich für die 2.Klasse gibt es aber nur Metallbänke mit einem mittigen Bügel, damit man sich nicht hinlegen kann. Dieser Mangel an Komfort macht meiner Meinung nach das Bahnfahren immer noch unattraktiv.

Was machen Sie wenn Sie warten?
Ich beobachte sehr viel, schaue alles an und mir fällt sehr viel auf. Zum Beispiel eine gläserne Auslage auf der Sandwiches und Getränke geschrieben steht und kein Sandwich zu sehen ist… Ich mache mir dann Gedanken, weshalb das wohl so ist… Ich glaube, dass es wichtig ist, Ruhe zu haben. Auch am Bahnhof sollte es Flächen geben, die werbefrei sind. Ich möchte nicht immer bespaĂźt werden, ich brauche auch das viele
Essen nicht, das angeboten wird. Das Auge braucht Ruhe und die ist am Bahnhof kaum zu finden… Bisweilen sind wenigstens die Böden
homogen und monochrom gehalten. Warten kann sehr existentiell, aber auch positiv und beunruhigend sein. Dieses emotionale Spektrum, war mir wichtig in der Ausstellung zu thematisieren. Für mich ist warten auf etwas einfach schön!

 

 

 

 

 

 

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