Stationen sind Möglichkeitsräume
David Kostenwein
Stadtplaner Interamerikanische Entwicklungsbank
Wie funktioniert eine Station des öffentlichen Verkehrs in Kolumbien?
In den meisten Kolumbianischen Städten gibt es keine Stationen, man lebt in einem „stationslosen Raum“. Alle zehn bis zwanzig Meter steht vereinzelt ein Wartender an der Straße und es gibt kaum Sammelstellen. Der gesamte öffentliche Raum ist somit Station. Das macht den Busverkehr oft unvorstellbar langsam und unattraktiv. Seit einiger Zeit wird versucht, informellen Busverkehr zu integrieren und zu organisieren, das heisst ein einheitliches Tarifsystem, Linien und Stationen zu definieren. Dabei werden auch simple Busstationen mit Dach und Bänken errichtet oder in grösseren Städten mit Bus Rapid Transit Systemen aufwändige bahnsteigähnliche Stationen.
Man weiss eigentlich nie, wann der nächste Bus kommen wird?
Die Taktungen werden im informellen Sektor von einem eigenen Berufsstand in Kolumbien geregelt. Diese Leute stehen an der Straße und notieren in einem Block, wann welche Buslinie vorbeifährt. Wenn ein Busfahrer wissen will, wann der vorherige Bus vorbeigefahren ist, bleibt er stehen und fragt nach und bekommt dann beispielweise die Information, dass der vorherige Bus vor drei Minuten vorbeigefahren ist. Somit weiss der Busfahrer dann, dass er langsamer fahren muss, damit er mehr Leute einsammeln kann. Für diese Information müssen einige wenige Cent bezahlt werden. Informell werden auf diese Weise Intervalle gebildet und entschieden, ob der Bus langsamer oder schneller fährt. Im formellen Bussystem gibt es diese Intervallinformation natürlich digital im Bus, interessanterweise funktioniert so die regelmässige Taktung der Busse in der Realität kaum mehr.
Haben Stationen auch eine soziale Funktion?
Stationen sind “Möglichkeitsräume.” Stationen sind für mich mehr als Transiträume, sie sind sozialer Treffpunkt und Hotspot zur Durchmischung verschiedener sozialer Gruppen und Schichten. Diese Funktion übernimmt etwa die U-Bahn in NYC oder Wien: Manager und Bauarbeiter teilen sich einen Raum. In segregierten Städten, wie Bogota oder den meisten anderen in Lateinamerika, wären diese Orte wichtiger “Möglichkeitsraum”, um Kontakte mit unterschiedlichen Lebensrealitäten herzustellen und Misstrauen und Abgrenzung abzubauen. Der Mangel an Aufenthalts-Qualität hat die Folge, dass Öffentlicher Verkehr und Stationen hauptsächlich von den ärmeren Teilen der Bevölkerung genutzt werden. Somit finden sozialer Austausch und Kontakt zwischen isolierten sozialen Gruppen kaum statt.
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