new environments of mobility

Es geht um die Ermöglichung individualisierter Mobilität

Dr. Valerie Hackl

Mitglied des Vorstandes der ÖBB-Personenverkehr AG

oebb.at

Dr. Valerie Hackl (34) ist Mitglied des Vorstandes der ÖBB-Personenverkehr AG. Sie verantwortet die Bereiche Fernverkehr, Vertrieb, Digitale Mobilität sowie Unternehmensentwicklung & Marketing. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft an den Universitäten Wien und Vancouver sowie an der Hochschule St. Gallen begann die ehemalige Spitzensportlerin ihre Berufslaufbahn 2005 in einer internationalen Strategieberatung. 2012 trat sie als Assistentin des Vorstandsvorsitzenden in den ÖBB-Konzern ein und wechselte 2014 in die Position als Leiterin der Konzernstrategie- und Unternehmensentwicklung der
ÖBB-Holding AG. Im Dezember 2015 folgte die Berufung in den
Vorstand der ÖBB-Personenverkehr AG.

Ein Blick in die Zukunft: wie könnte Ihr mobiler Alltag in 15 Jahren verlaufen?
Es wäre schön, wenn ich mir am Morgen über meine Verkehrsmittelwahl keine Gedanken mehr machen müsste. Ein digitales Device antizipiert meinen Tag, situativ maßgeschneidert, da es mich als Person kennt. Es wählt für mich aus und ordert direkt das passendste Verkehrsmittel.

Interoperabilität zählt somit zu den Key-Requirements, um individualisierte Mobilität zu ermöglichen?
Ich könnte mir vorstellen, dass sich der klassische Transfer bzw. Weg zu einer bestimmten Haltestelle immer weiter aufhebt und ein Paradigmenwechsel in Richtung „Ich habe einen Bedarf und es gibt ein maßgeschneidertes Angebot“ stattfindet. Dieses Szenario ermöglicht eine hochqualitative Individualisierung von Mobilität. Mit einem Auto, das mich automatisiert abholen kommt oder einem Fahrzeug in entsprechender Größe, aus meiner Nähe, beispielsweise von einem Sharing-Anbieter, gelange ich zu der für mich passenden
Mobilitätsschnittstelle.

Was bedeutet das konkret für die Planung von Verkehrsstationen?
Wenn der Kunde mit Carsharing oder mit einem autonomen Fahrzeug zum Bahnhof kommt, bedarf es dort neu gedachter Infrastrukturen. Wird das Fahrzeug abgestellt oder fährt es zB von selbst weiter? Das Ziel jedes Betreibers ist eine möglichst hohe Auslastung seiner Assets, also sollte das Fahrzeug permanent in Bewegung sein. Diese Entwicklung greift dann auch ganz konkret in die Infrastrukturerfordernisse ein, indem sich beispielsweise der Bedarf an Abstellflächen reduziert.

Welche Entwicklungen können Sie sich im Bereich der Verkehrsstationen vorstellen?
An großen Standorten, wie dem Hauptbahnhof oder dem Westbahnhof, wo eine entsprechende Frequenz vorhanden ist, kann man eine Bündelung von Funktionen anbieten. Diese Bahnhöfe sind beispielsweise auch gleichzeitig Einkaufszentren. Ich kann Mobilität hier mit meinen Alltagserledigungen verbinden und ich bin überzeugt, dass das den Bedürfnissen vieler Kunden entgegenkommt. Durchmischung und
Verhältnismäßigkeit sind dabei Parameter für den Erfolg. Eine weitere zentrale Funktion des Bahnhofs ist heute die umfassende Kundeninformation. Dabei eröffnet die Digitalisierung vollkommen neue Möglichkeiten für die individuelle Ansprache der Kunden.

Wird in Zukunft Mobilität ohne Wartezeiten möglich sein?
Ich halte es derzeit noch nicht für realistisch, dass Mobilität ganz ohne Wartezeiten stattfinden kann. Vor allem durch die zunehmende
Urbanisierung ist es unabdingbar, dass vor allem viele Menschen möglichst effizient und komfortabel befördert werden können. Um Reisenden einen angenehmen Übergang gewährleisten zu können, besteht ein hoher funktionaler Anspruch an Bahnhöfe. Damit stehen wir vor der Frage, welche Funktionen hier in Zukunft untergebracht sein sollten bzw. wie der Kunde heute und morgen Wartezeit verbringen möchte.

Wie sollen hochwertige Wartebereiche konzipiert und ausgestattet sein?
Aktuelle Verkehrsinformationen, komfortable Umgebung und gute
Internetverbindung sind wichtige Faktoren, um die Qualität des Wartens zu erhöhen. Der Bahnhof soll ein Ort des Wohlfühlens sein. Unsicherheit darf nicht entstehen: leicht verständliche
Wegeleitsysteme, wenig tote Winkel, gute Orientierungsmöglichkeiten und kurze Wege. Die räumliche Situation der Wartebereiche, Helligkeit und Sauberkeit sind von großer Bedeutung.
Wenn ich warte, bin ich persönlich fast immer online. Zeit ist ein knappes Gut und es hängt auch von der inneren Einstellung des Menschen ab, wie er mit dem Warten umgehen will.
Die Anstrengungen der ÖBB, Wartesituationen qualitativ zu verbessern, waren in den letzten Jahren intensiv. Stichwort Bahnhofsoffensive: eine große Anzahl an Bahnhöfen wurde erneuert, modernisiert und komfortabler gestaltet. Höher frequentierte Bahnhöfe werden zusätzlich mit WLAN ausgestattet. Das wird von unseren Kunden sehr positiv angenommen.
Wir versuchen diese Themen und Bedürfnisse zu erkennen und darauf einzugehen, um den Aufenthalt am Bahnhof möglichst angenehm zu gestalten.

Verstehen sich die ÖBB als Mobilitätsdienstleister im klassischen Sinn oder als Mobilitätsanbieter?
Unser Kerngeschäft ist die Schiene. Unser Hauptfokus liegt darin, mehr Kunden für die Bahn zu gewinnen bzw. Güter im Cargobereich zu transportieren. Die Bedürfnisse der Kunden verändern sich und wir müssen uns permanent verbessern, damit die Schiene in diesen Prozessen
weiterhin eine bedeutende Rolle spielt. Wir verstehen uns heute als
Mobilitätsdienstleister, der den Kunden von seiner Wohnungstür weg bis zu seinem Ziel begleitet – sei es digital durch eine
Tür-zu-Tür-Wegeauskunft oder physisch durch die Reise in unseren
Zügen, Bussen oder Carsharing-Angeboten.
Künftig werden immer weniger Menschen ein eigenes Auto besitzen. Für den Kunden stellt sich die Frage, wie er die Mobilitätskette
effizienter nach seinen Ansprüchen gestalten kann. Für uns als Konzern bedeutet das, nicht die eine, sondern die maßgeschneiderte Lösung anzubieten. Wir verstehen uns nicht mehr ausschließlich als Schienenverkehrsanbieter, sondern müssen in der Lage sein, dem Kunden aus einer Hand und im Idealfall mit einem einzigen Klick, das
Mobilitätsangebot zu geben, das er braucht.

 

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