new environments of mobility

Aus Warten wird Verweilen

Dr. Willi Nowak

VCÖ – Mobilität mit Zukunft,
Geschäftsführer und Mitbegründer

www.vcoe.at

Wie sind Sie heute zu Ihrem Arbeitsplatz gekommen?
Ich komme fast immer mit meinem Rad.

Sie sind Geschäftsführer und Mitbegründer des VCÖ, könnten Sie uns über den VCÖ erzählen?
Der VCÖ versteht sich als eine auf Verkehr spezialisierte Umweltorganisation. Ziel ist eine globale bessere Verkehrs-Welt: CO2-neutral, barrierefrei, menschenrechtskonform, sozial gerecht. Jeder Mensch soll unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und Einkommen mobil sein können. Und das geht nicht, wenn die Infrastrukturen auf nur eine Mobilitätsform – das Auto – ausgerichtet sind. Dem Öffentlichen Verkehr kommt dabei die Rolle einer „Daseinsvorsorge“ zu, im Gegensatz zu den 1980er-Jahren, wo öffentlicher Verkehr noch mit Subventionsempfänger assoziiert wurde.
Die Lebensqualität steigt in dem Maße, als es den „Selbst-Fahrer“ immer weniger gibt.

Wie wird sich unser Mobilitätsverhalten generell verändern?
Das Mobilitätsverhalten wird multimodaler und vielfältiger. Ich persönlich fahre praktisch täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit, erledige Dienstwege untertags dann oft im Öffentlichen Verkehr. Und die Schwiegereltern in Oberösterreich erreiche ich per Bahn und dann das letzte Stück im Mietauto. Weitere Strecken, z.B. Städtereisen, lege ich, wenn immer möglich mit dem Zug zurück. Das ist zwar teurer und braucht mehr Zeit – aber ich will „reisen“ und nicht einfach nur ankommen. Das ist eine Haltungsfrage und hat mit dem Verweilen zu tun.

Thema Leihsysteme: welchen Stellenwert werden sie für die Zukunft unserer Mobilität spielen?
Prinzipiell halte ich die Trennung von Autobesitz und Führerschein für wichtig. Das unterstützt Sharing-Modelle. Leihfahrräder und Leihautos haben auch das Potenzial, Mindeststandards der Qualität zu erfüllen und guten Service zu bieten. Gerade junge Menschen zeigen uns das vor. Sie sind eher Konsum orientiert und schätzen guten Service, sind also affin zu Sharing-Modellen. Die E-Mobilität hat derzeit den Nachteil, dass die technologische Richtung noch nicht klar ist. Die Politik hat da eine steuernde Aufgabe, z.B. sollten Sharing-Angebote wie „Car to go“ oder Taxi-Dienste nur mit E-Fahrzeugen erfolgen.

Eine Stadt ist grundsätzlich geteilter Raum – ein Sharing-Modell, kein Trenn-Modell.
Derzeit geben uns die Gesetze eher ein Trenn-Modell vor. Obwohl es vernünftig und natürlich wäre, den vorhandenen Raum und teure Konsumgüter zu teilen. Das Auto fällt jetzt langsam unter diese Kategorie. Die Infrastrukturen, wie der Straßenraum, müssen sich noch vom Trennprinzip verabschieden und geteilte Räume statt zerteilte Räume werden. Ein Gesetz ändert allein noch nichts, es müssen sich auch die Räume selbst sichtbar verändern. Für die Umgestaltung der Räume braucht es auch Teilen im Sinn von offener Beteiligung der Menschen: im Vorfeld, begleitend und danach. Alle, die in der Stadt unterwegs sind, sind Fachleute für die eigene Mobilität. Deren Einschätzung sollte uns etwas Wert sein.

Können Sie uns eine Situation beschreiben, die zu multimodalem Mobilitätsverhalten motiviert?
In einem typischen Wiener Viertel wäre es einfach, die perfekte multimodale Situation zu haben: Generelles Tempo 30 und alle Gehsteige entfernen. Ein offener Straßenraum mit Sitzgelegenheiten und Bäumen lädt ein, zu Fuß zur U-Bahn-Station zu gehen. Fortschrittliche Wohnbauträger bauen beispielsweise Lifte schon so, dass zwei Räder hinein passen. Und direkt neben den Wohnungen ist genug Platz, um das Fahrrad anzuhängen – das steigert das Sicherheitsgefühl und legt das Rad als Mobilitätsträger nahe.
Was ich jeden Tag sehe, das begehre ich. Eine attraktive Haltestelle des Öffentlichen Verkehrs, ein Fahrrad vor der Wohnungstüre und die abgestellten Autos weg aus dem Straßenraum, lassen das Auto aus dem Sichtfeld und den Gedanken verschwinden. So können wir das Mobilitätsverhalten beeinflussen. Leider sind auch in unseren Köpfen noch zu viele Autos geparkt.

Welche Anforderungen muss eine Verkehrsstation der Zukunft erfĂĽllen? Werden wir dann auch noch an den Stationen warten?
Je gemächlicher die Mobilitätsform ist, desto stärker nehmen die Menschen den Weg an sich wahr, es werden Attraktionen unterwegs wahrgenommen, eine gute Bäckerei, eine schöne Fassade oder eine alte Linde. Geteilter Raum entschleunigt auch – da passiert wohl neurobiologisch einiges in unseren Köpfen. Statt mehr Dichte an Haltestellen werden künftig attraktive Knotenpunkte des Öffentlichen Verkehrs gefragt sein. Dann spielt das Warten eine untergeordnete Rolle. Aus Warten wird Verweilen. Auch wenn der Verkehrsanbieter oft die Hauptverantwortung für die Gestaltung trägt, werden hier Gemeinden und weitere Kooperationspartner wichtiger werden. Auch ein Einkaufszentrum kann eine Parkplatz-Bewirtschaftung einführen und die Mittel dann in den Öffentlichen Verkehr oder Fahrradabstellanlagen investieren.
Bei der Gestaltung dieser Knotenpunkte fehlen derzeit seitens der Politik oft noch wesentliche Rahmenbedingungen, um Planungssicherheit sowie Investitionssicherheit fĂĽr Unternehmen zu erhalten.

Ein Beispiel ist das Weißbuch der EU, in dem steht, dass im Jahr 2030 der gesamte innerstädtische Güterverkehr, CO2-neutral sein soll – das wäre ein riesiger Markt für E-Fahrzeuge. Doch um das umzusetzen, muss sich die Zielsetzung des EU-Weißbuches beispielsweise auch in der Smart City-Politik der Stadt Wien für das Jahr 2050 abbilden. Oder auch die Bauordnungen – das Bild der gewünschten Zukunft muss deutlich sichtbar gemacht werden und heute in politischen Entscheidungen Niederschlag finden. Es ist hochgradige Geldverschwendung unter jedem Wohnhaus Tiefgaragen zu errichten, die zukünftig unnütz sind. Stattdessen könnten jetzt Sammelgaragen in Hochlage so gebaut werden, dass sie dann, wenn zukünftig keine Autos mehr drinnen stehen, Büros oder Veranstaltungsräume beherbergen. Die teuren Tiefgaragen von heute sind morgen nicht einmal mehr als Weinkeller tauglich.

Ich weiĂź nicht, wie die Mobilität der Zukunft genau ausschauen wird, aber ich weiĂź, dass sie deutlich anders sein wird, als die heutige. Das Auto von heute wird kaum mehr eine Rolle spielen und Sharing wird ein wichtiger Teil der zukĂĽnftigen Mobilität sein – denn alles, was geteilt wird, ist effizienter.

 

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